Berliner Morgenpost
12. 4 1998
Neue Spekulationen über die Nazi-Stollen im thüringischen Jonastal
http://212.172.17.10/archiv1998/980412/politik/story07.html
Ein Historiker fragt: "War die Hiroshima-Bombe deutscher Herkunft?" -
US-Regierung hält wichtige Dokumente weiter unter Verschluß
Von Olaf Amm

 BM Ohrdruf - Für Schatzsucher ist das thüringische Jonastal bei Ohrdruf ein Dorado. Reichtümer wurden in den vergangenen Jahren zwar nicht entdeckt, dafür überschlagen sich Spekulationen um die gewaltigen Stollen, die die Nazis vor Kriegsende in die Berge getrieben haben. Das Bernsteinzimmer hat bereits die DDR-Stasi vergeblich gesucht, ein Führerhauptquartier wurde vermutet, und die neueste Deutung der Anlage sieht hier die erst funktionierende Produktionstätte für deutsche Atombomben. "War die Hiroshima-Bombe deutscher Herkunft?", fragt der Historiker Harald Fäth in seinem Buch "1945 - Thüringens Manhattan Project" (CTT Verlag, Suhl, und Heinrich Jung Verlag, Zella-Mehlis).

 Fäth hat eine verwegene Theorie: Im März 1945 trafen sich Hitler, Himmler, Speer und andere Größen in Luisenthal bei Ohrdruf, um letzte Einzelheiten eines geplanten deutschen Nuklearangriffs auf New York zu besprechen. In einem Flugzeug landen am 27. März die deutschen Atomforscher aus Stadtilm, im Gepäck ihre fertiggestellte Bombe, um sie auf eine Langstreckenrakete zu montieren. Der Abschuß wird aber absichtlich vereitelt durch den Verrat von Teilen des Oberkommandos der Wehrmacht, die Vergeltung der USA fürchten. Die US-Truppen dringen mit Tempo nach Thüringen vor, der Raketenabschuß findet nicht statt. Am 7. April holen amerikanische Spezialisten die Bombe ab. Drei Monate später zünden sie ihre Testbombe und werfen am 6. August die erste auf Hiroshima.

 Auf 173 Seiten versucht der Historiker seine Theorie zu begründen. Bereits aus dem Jahr 1944 datiert ein Angriffsplan mit einer Rakete auf New York, deren Zerstörungsradius 4,5 Kilometer umfaßt. Die detailliert beschriebene Sprengkraft ließe sich nur mit einer Atombombe erreichen. Der Vernichtungsradius stimmt exakt mit dem späteren tatsächlichen Atombombenziel in Hiroshima überein. Die technischen Voraussetzungen zum Bau der Bombe habe Deutschland entgegen offizieller Geschichtsschreibung gehabt, meint Fäth. Bereits 1943 hielten die Amerikaner einen deutschen Atomschlag für möglich. In deutschen Unterlagen zu den nach 1945 gesprengten 25 Stollen heißt es, daß der Bau wichtiger sei als die Produktion neuer Jagdflugzeuge, Treibstoffherstellung oder die Rakete V2.

 "Es muß sich um die Waffe gehandelt haben, von der sich Hitler die Wende im Zweiten Weltkrieg versprach. Und dafür kann, nach dem, was an Deutungen möglich ist, nur eine Nuklearwaffe in Frage kommen", sagt Fäth zu dem Wahnsinnsprojekt im Jonastal. Offiziell gab es in Ohrdruf 12 000 KZ-Arbeitssklaven. Häftlinge selbst sprechen aber von 30 000 Gefangenen - Fäth geht bei der Differenz von Arbeitskräften in einem unterirdischen Lager aus. Augenzeugen berichteten außerdem von einer gewaltigen ringförmigen technischen Versuchsanlage tief im Innern des Bergmassivs und einem Vorrat eines Edelmetalls - für Fäth Hinweise auf Atomversuche.

 Auf dem Truppenübungsplatz bei Ohrdruf gab es zudem zeitweise starke elektromagnetische Felder - für Fäth Indizien einer Elektrolyseanlage zur Produktion schweren Wassers für Atomprojekte. Die Elektroanlagen hätten zur Versorgung einer Stadt wie Berlin gereicht, erinnerten sich US-Soldaten.

 Der Raum für Spekulationen um das Jonastal bleibt groß. Unterlagen in zugänglichen Archiven gibt es fast nicht. Die US-Regierung hält die Dokumente zur deutschen Atomforschung nach der ursprünglichen Sperrzeit von 50 Jahren für weitere 30 Jahre unter Verschluß. ADN

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