Aus der Neuen Solidarität Nr. 22/1999:
NATO-Hände hinter italienischem Terrorismus?
Mordanschlag. Die italienische Regierung hält den jüngsten Terroranschlag im Land zu Recht für einen Angriff auf ihre Balkan-Friedenspolitik.

Angriffsziel D'Alema
Hinter den Roten Brigaden
Ablenkungsmanöver aus NATO-Kreisen
http://www.solidaritaet.com/neuesol/1999/22/terror.htm

Am frühen Morgen des 21. Mai wurde Massimo D'Antona, Berater der italienischen Regierung und Führungsmitglied der Gewerkschaft CGIL, auf dem Weg zur Arbeit vor seinem Haus von Profikillern erschossen. Zur gleichen Zeit befand sich Ministerpräsident Massimo D'Alema auf dem Weg zu NATO-Generalsekretär Solana in Brüssel, um die NATO zur Annahme des italienischen Friedensplans für den Balkan zu drängen.

Bald bekannte sich eine Terrororganisation zu dem Mordanschlag, die längst von der Bildfläche verschwunden war: die Roten Brigaden, die in der Vergangenheit Politiker und andere Persönlichkeiten ermordeten, u.a. Ministerpräsident Aldo Moro (1978) und den NATO-General Dozier (1983). Der letzte Mord, der den Roten Brigaden zugeschrieben wurde, war der an Senator Roberto Ruffilli im Jahre 1989. Obwohl viele ihrer Mitglieder gefaßt wurden, hat man die wahren Köpfe hinter den Roten Brigaden nie ermittelt.

Wir befragten zu dem Mordanschlag an D'Antona den ehemaligen Senator Sergio Flamigni, der Mitglied zahlreicher parlamentarischer Untersuchungsausschüsse über Terrorismus war und Bücher über die Roten Brigaden verfaßt hat. "Die gesamte Geschichte des italienischen Terrorismus zeigt, daß Terror dazu benutzt wurde, Italien einem Regime ,begrenzter Souveränität' zu unterwerfen", erklärte er. "Heute hat Italien eine Regierung, die sichtbar eine autonome Politik innerhalb der NATO betreibt. Das ist die natürliche Politik Italiens, nicht nur, weil die gegenwärtige Regierung fortschrittlich ist, sondern auch wegen der katholischen Einstellung der Bevölkerungsmehrheit. Man schlägt jetzt zu, um Italien das Recht auf eine eigenständige Außenpolitik zu verwehren", erklärte Flamigni.

Flamigni vermutet also einen Zusammenhang zwischen dem Mord und den Anstrengungen der Regierung, die NATO von der britischen Kriegspolitik abzubringen. Ministerpräsident D'Alema selbst merkte an, das Attentat auf D'Antona sei im "Augenblick einer ernsten internationalen Krise" geschehen. Der Staatssekretär im Außenministerium Umberto Ranieri war am 25. Mai deutlicher: "Hinter dem roten Terrorismus steht die Überzeugung, Italien müsse ein schwaches Glied in der westlichen Kette bleiben, ein Teil der Welt, wo ein bewaffneter Angriff so gespielt werden kann, daß er einen politischen Destabilisierungsprozeß in Gang setzt."

An jenem 21. Mai war der italienische Regierungschef so weit gegangen wie kein anderer NATO-Staat und hatte persönlich das NATO-Hauptquartier in Brüssel besucht, um auf einen Waffenstillstand zu drängen. "Ich bin mir sehr wohl bewußt, daß die italienische Haltung sich von jener der NATO unterscheidet, aber ich habe unseren Vorschlag erläutert, und man hat mir zumindest aufmerksam zugehört", sagte D'Alema gegenüber Journalisten. Sein Vorschlag soll die laufenden Verhandlungen aus der Sackgasse führen: Rußland und China bestehen darauf, daß vor einem Abzug serbischer Truppen aus dem Kosovo zunächst die NATO-Luftangriffe aufhören müssen. D'Alemas Vorschlag sieht nun die Einstellung der Luftangriffe vor, sobald der UN-Sicherheitsrat eine Resolution, die sich am G-8-Vorschlag orientiert, verabschiedet und die Belgrader Regierung sie angenommen hat.

Gleichzeitig drängt Italien auf einen Wiederaufbauplan für den Balkan, der ohne Einmischung des IWF umgesetzt werden müsse.

Angriffsziel D'Alema

Am 22. Mai erklärten die Geheimdienstchefs bei einer Dringlichkeitssitzung, Ministerpräsident D'Alema stehe an der Spitze ihrer Liste 130 potentieller Opfer von Terroranschlägen. Schon vor einigen Monaten hatte der Geheimdienst davor gewarnt, daß sich die linksextremistische Gewalt neu gruppiere und Terroranschläge folgen könnten. Diese Warnungen wurden dann durch Brandanschläge und andere Übergriffe auf Einrichtungen und Fahrzeuge der NATO unterstrichen. Nur zwei Tage nach dem Mord an D'Antona wurde in der Nacht vom 23. auf den 24. Mai das Symbol der Roten Brigaden neben die Eingangstür von D'Alemas Privathaus im süditalienischen Gallipoli gesprüht.

Auch daß gerade D'Antona als Opfer der angeblichen Roten Brigaden ausgewählt wurde, weist auf ein ausgeklügeltes Szenario zur Lähmung der italienischen Außenpolitik. D'Antona war ein Vermittler zwischen den Gewerkschaften und der Industrie. Als Professor für Arbeitsrecht tätig, war er der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt, schrieb aber die Grundzüge wichtiger Gesetze wie etwa zum Streikrecht der öffentlichen Bediensteten. Bei der "Reform des Sozialwesens" vertrat er die "gemäßigte" Fraktion, die eine "weiche" Deregulierung im Tausch für sozialen Frieden hinnimmt.

Im Balkankrieg vertrat er den Standpunkt der Regierung, im Gegensatz zu anderen Teilen der Regierungsparteien und Gewerkschaften, die darauf drängen, daß die Regierung offen mit der NATO bricht. Kürzlich einigten sich alle Regierungsparteien im Parlament auf ein Kompromißpapier, das die Regierung aufruft, "auf die schnellstmögliche Beendigung der Bombardierung hinzuwirken". D'Alema hatte vorher erklärt, dies werde seine Position bei den internationalen Verhandlungen stärken.

Die Roten Brigaden gaben in ihrem Bekennerschreiben an, sie hätten D'Antona ermordet, um die Unterstützung der Regierung für "die brutale NATO-Aggression gegen Serbien" anzugreifen. Daher fürchten jetzt einige Beobachter, daß die Hardliner in der NATO dieses Klima des Terrors benutzen, um die Friedensbemühungen einzustellen.

Hinter den Roten Brigaden

Die Fahnder konzentrieren sich jetzt auf die "zweite Generation" der Roten Brigaden, die an der letzten Terrorwelle in den 80er Jahren beteiligt war und nie gefaßt wurde. Man vermutet, daß sie eine jüngere "dritte Generation" rekrutiert haben, und die Führung aus Mitgliedern der "zweiten Generation" sich um eine Zelle in Florenz gruppiert. Der Ort, an dem sich 1978 während der 55tägigen Entführung von Aldo Moro die "strategische Führung" der Bande in Florenz traf, konnte nie ermittelt werden.

Diese Analyse enthält sicherlich ein Körnchen Wahrheit, aber die Geschichte der Roten Brigaden und besonders der Moro-Entführung zeigt, daß es neben den "echten" Terroristen auch immer eine parallele Struktur gab, welche die ganze Operation abwickelte - vom anfänglichen Schußwechsel mit Moros Leibwächtern über das Gefangenhalten des Entführten bis zu dessen Ermordung. Es gibt eine überwältigende Fülle von Beweisen für die Verstrickung militärischer, politischer und geheimdienstlicher Kreise innerhalb der NATO.

So wurde 13 Jahre nach dem Mord an Moro bewiesen, daß der Geheimdienst-Oberst Guglielmi am 16. März 1978 um neun Uhr am Ort der Moro-Entführung zugegen war. Guglielmi war ein hoher Repräsentant der geheimen NATO-Struktur "Gladio". 39 der 92 Kugeln, die auf Moros Leibwächter abgegeben wurden, stammten aus einem geheimen Gladio-Waffendepot.

1981 wurde aufgedeckt, daß alle zuständigen Leiter von Geheimdiensten, Polizei, Streitkräften etc. während der Moro-Entführung Mitglieder der geheimen Freimaurerloge "Propaganda Due" (P-2) waren. Ex-Staatspräsident Cossiga, der während der Entführung Polizeiminister war, hatte die bestehende Anti-Terror-Polizei aufgelöst, die Polizei zentralisiert und mit P-2 Leuten besetzt.

Der nominelle Kopf der P-2-Loge war Licio Gelli, ein früherer Agent der faschistischen Geheimpolizei, den James Angleton am Ende des Krieges in den italienischen Geheimdienst übernahm. Andere Leute behaupten aber, der wahre Leiter der P-2 stamme aus der Loge von Monte Carlo, in der u.a. Henry Kissinger Mitglied ist. Das paßt zu der Aussage von Moros Witwe vor einem Parlamentsausschuß, Kissinger habe ihren Mann an Leib und Leben bedroht, falls er versuchen sollte, die Kommunisten in die Regierung einzubeziehen.

Ablenkungsmanöver aus NATO-Kreisen

NATO-Oberbefehlshaber Gen. Wesley Clark will hinter den jüngsten Terroranschlägen in Italien "eine serbische Hand" entdeckt haben. Beim alliierten Luftkommando in Vicenza erklärte er: "Solche Taten sind Teil der Strategie, die Milosevic und andere verfolgen."

Gleichzeitig behauptete der derzeitige Sprecher von Gladio Gen. Francesco Gironda vor Parlamentariern, wenn sie nach internationalen Verbindungen hinter den Roten Brigaden suchten, sollten sie nach Belgrad schauen. Ein kurioses Zusammenspiel zwischen dem offiziell eigentlich aufgelösten Gladio-Netz und dem NATO-Hauptquartier!

Wir riefen Gironda an, und er sagte uns, die "serbische Verbindung" sei zwar nur eine Hypothese, aber der NATO-Luftkrieg sei so erfolgreich, daß Milosevic aus Wut mit Terror gegen Italien, den wichtigsten "Flugzeugträger" der NATO, zurückschlage. Doch warum sollte Milosevic das NATO-Land angreifen, das sich am entschiedensten für eine Einstellung der Luftangriffe einsetzt?

Ein anderer ehemaliger Gladio-Führer, Gen. Gerardo Serravalle, erklärte dagegen den NATO-Krieg für völlig gescheitert: "General Clark ist völlig inkompetent, ich würde ihm nicht einmal einen Wachtposten anvertrauen. Wenn er von einer ,serbischen Verbindung' spricht, dann scheidet diese automatisch aus." Serravalle sieht im Balkankrieg ein traditionelles britisches geopolitisches Spiel.

Die Mehrheit der italienischen Militärführung ist entschieden gegen einen Bodenkrieg im Kosovo. Doch ein Schützling von Gladio und Cossiga, Gen. Carlo Jean, stützt Tony Blairs Linie, er forderte von Anfang an eine Bodeninvasion.

Schon im Herbst 1992 hat Jean in der geopolitischen Zeitschrift Limes die "neue NATO-Strategie" beschrieben, die jetzt im Kosovo geprobt wird. Die von der UN-Charta gesetzten Grenzen im Völkerrecht würden nun "überwunden", schrieb Jean. Der Krieg werde neu definiert als "internationale Polizeiaktion", bei der "Kriminelle" der Feind sind. Dabei sei "die Dämonisierung des Gegners die wirksamste Art, im In-und Ausland Unterstützung zu gewinnen", so Jean. "In einer modernen Informationsgesellschaft ist es nicht wichtig, die Wahrheit zu sagen, die als objektive Tatsache gar nicht existiert, sondern sie den eigenen Zielen entsprechend zu manipulieren."

Claudio Celani