FACTS SCHWEIZ
Unter Verdacht
Dementieren, abwiegeln, überreagieren - die Angst vor Uran-Munition hat die Behörden kopflos gemacht.
http://www.facts.ch/stories/0102_sch_uran.htm
Von Artur K. Vogel, Daniel Ammann, Jost Auf der Maur, Odette Frey, Rainer Klose und Daniel Röthlisberger, Mitarbeit: Stefan Barmettler, Sebastian Borger, Andreas Bucher, Dorothea Hahn, Thomas Häusler, Werner Herzog, Michaela Namuth, Tessa Szyszkowitz

Die Granathülsen waren «oft schön mit Ornamenten verziert», erzählt Soldat Anton A. Militärs im Einsatz in Bosnien schätzten sie als originelle Andenken. In Schweizer Wohnstuben kommt die verschossene Kriegsmunition heute zum neuen, friedlichen Einsatz als Blumenvasen. Auch A. hat auf dem Markt in Sarajevo zwei dieser Hülsen gekauft. Er tritt deswegen hier unter fal-schem Namen auf, denn diese Art Souvenir war offiziell verboten, und bisher hat es der Generalstab nicht geschafft, den Balkan-Veteranen Straffreiheit für diese Übertretung zuzusichern. Hingegen «war nie die Rede davon, dass die Munition verseucht sein könnte, sonst hätten wir sie sicher nicht angefasst», sagt Soldat A.

Jetzt hat A. Angst, dass er zwei Zeitbomben aus Bosnien mitgebracht haben könnte. Europaweit wird vom «Balkan-Syndrom» geredet. Leukämie- und andere Krebs-Erkrankungen von Balkan-Veteranen, so der Verdacht, könnten durch Munition aus so genanntem abgereichertem Uran verursacht worden sein. Die Nato hat 1994/95 im Bosnien-Einsatz nach eigenen Angaben 11'000 Uran-Geschosse abgefeuert. Im Kosovo-Krieg 1999 waren es 31'000.

Bruno B., Hauptmann und Berufsoffizier aus dem Kanton Zürich, war von April bis Oktober 1996 in Bosnien im Einsatz - zur selben Zeit wie Soldat A. Ende 1998 starb er, erst 35-jährig, an Leukämie. Am Freitag vergangener Woche, über zwei Jahre nach B.s qualvollem Tod, gab das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) diesen bekannt, aber nur verklausuliert. Es sei zu einer «bösartigen Erkrankung» gekommen, sagte Divisionär Peter Eichenberger, der Oberfeldarzt, an einer Pressekonferenz.

Soldat A. ist empört. Dass er den Tod des Hauptmanns B. aus der Presse erfahren musste, empfindet er als Schweinerei. Die verspäteten und beschwichtigenden Auskünfte des VBS lassen in ihm den Verdacht hochkommen, dass die Armeeführung etwas vertuschen wolle. «Wir waren in ganz Bosnien unterwegs. Wir haben viel fotografiert, mit Vorliebe Panzerwracks», sagt A., «wir sind auch auf diesen herumgeklettert. Gut möglich, dass einige dieser Panzer mit Uran-Munition abgeschossen wurden.»

Wie A. machen sich viele der 900 Schweizer Soldaten Sorgen, die in den letzten fünf Jahren auf dem Balkan im Einsatz waren. Der Generalstab hat vor einigen Tagen eine Hotline eingerichtet, bei der sich Soldaten melden können, die Munition vom Balkan mit nach Hause nahmen. Doch die meisten rufen aus einem andern Grund an: «Sie haben Angst um ihre Gesundheit», sagt Hotline-Betreuer Heinz Bergmann.

Vorläufig ist das «Balkan-Syndrom» jedoch vor allem eine unglaubliche Abfolge von Widersprüchen, Informationspannen und Kehrtwendungen: Zuerst wird dementiert, dann abgewiegelt, dann die Schuld auf andere geschoben. Begonnen hat die jüngste Skandalwelle im Dezember 2000 in Italien. Zwischen 1995 und 1999 waren in Bosnien und im Kosovo rund 50'000 italienische Soldaten im Einsatz. Acht von ihnen sind seither an Leukämie gestorben. Das Verteidigungsministerium gibt zehn weitere Fälle von krebskranken Soldaten an. Italienische Hilfsorganisationen melden nochmals vierzig Fälle.

Inzwischen herrscht gesamteuropäische Aufregung, die auch die Schweizer Politiker ergriffen hat. Am Freitag vergangener Woche erklärten Armeespitze und Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) an ihrer Medienkonferenz in Bern, das Risiko sei äusserst gering.

Zwei Tage später, nachdem der Leukämie-Tod von Hauptmann B. bekannt geworden war, kündigten die gleichen Behörden plötzlich an, alle 900 Schweizer Soldaten und 250 Deza-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, die in Bosnien und im Kosovo waren, würden einem Gesundheitscheck unterzogen. Nicht ohne Stolz wies Oberfeldarzt Eichenberger darauf hin, dass bereits heute alle Soldaten in der Austrittsmusterung untersucht würden.

Doch diese Kontrolle läuft auch für Kosovo-Soldaten so summarisch wie nach einem dreiwöchigen Wiederholungskurs. Das bestätigten Betroffene: Sie seien vor der Heimkehr in die Schweiz besammelt worden, und der Truppenarzt habe sie aufgefordert: «Wer sich krank fühlt oder Beschwerden hat, soll sich melden.»

Zum Informationschaos gesellten sich Koordinationsprobleme. Am vergangenen Montag trafen sich 20 Beamte der Deza, des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) und des Bundesamtes für Flüchtlinge (BFF), um eine gemeinsame Sprachregelung zu finden. Das VBS war nicht vertreten. Und der neue Militärminister Samuel Schmid schwieg sich bis Dienstag dieser Woche aus und schickte Generalstabschef Hans-Ulrich Scherrer und dessen Pressesprecher Philippe Zahno vor.

Ähnlich verwirrend präsentierte sich die Lage im übrigen Europa. Italiens Verteidigungsminister Sergio Matarella hatte den Einsatz der Uran-Geschosse im vergangenen Jahr abgestritten. Inzwischen fordert er von der Nato Aufklärung. Die italienischen Generäle schieben alle Verantwortung auf die Amerikaner ab. Allerdings kommandierte der italienische General Andrea Fornasiero, heute Generalstabschef der Luftwaffe, 1995 die Bombardierung der bosnischen Serben. Kaum anzunehmen, dass er nicht wusste, was seine Jets verpulverten.

Spätestens seit dem Frühsommer 1999 war auch im französischen Verteidigungsministerium bekannt, dass urangehärtete Munition schädlich sein kann. Die französischen Soldaten im Kosovo wurden deswegen im Juni 1999 gewarnt. Doch die zurückkehrenden Soldaten wurden nicht auf Krebserkrankungen untersucht. Erst am Donnerstag vergangener Woche gab das Verteidigungsministerium zu, vier französische Militärs würden «seit mehreren Wochen wegen Leukämie behandelt». Am Samstag wurde ein weiterer Fall bekannt.

Der sozialistische Verteidigungsminister Alain Richard hatte im März 2000 vor dem Parlament behauptet, die urangehärtete Munition stelle «kein Risiko dar, weder radiologisch noch chemisch». Bisher gebe es keine Hinweise auf Risiken bei Mensch und Umwelt, behauptet Paris noch heute. Trotzdem verlangt der Verteidigungsminister jetzt Erklärungen von den USA.

Der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon weigerte sich bis Dienstag dieser Woche, die Zehntausenden von Balkan-Veteranen untersuchen zu lassen. Die Regierung nehme «eine Vogel-Strauss-Haltung ein», kritisierte die Zeitung «Guardian». Für eine Untersuchung der betroffenen Soldaten setzt sich der Oxforder Biologieprofessor Brian Spratt ein. Er leitet ein Expertenteam der renommierten Royal Society, das im Auftrag des Verteidigungsministeriums seit vergangenem Jahr die Auswirkungen einer Verseuchung durch uranhaltige Munition untersucht. Ihre Ergebnisse wollen die Wissenschaftler im Frühjahr vorstellen. Am Dienstag machte das Verteidigungsministerium rechtsumkehrt. Nun sollen mehrere tausend ehemalige Balkan-Soldaten untersucht werden.

Mit seiner ungeschickten Informationspolitik arbeitet das VBS in Bern vor allem der rechtskonservativen Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) zu. Die Auns sammelt Unterschriften für ihr Referendum gegen die Revision des Militärgesetzes. Diese würde eine Bewaffnung von Schweizer Soldaten unter OSZE- und Uno-Flagge erlauben. Es wird nicht daran gezweifelt, dass das Referendum zu Stande kommt; schon am 10. Juni soll das Volk darüber abstimmen. Auns-Geschäftsführer Hans Fehr verhehlt nicht, dass die Organisation die Debatte um die Uran-Munition für die Abstimmungskampagne nutzen werde. Das VBS verniedliche die Gefahr, sagt der Zürcher SVP-Nationalrat: «Wer Soldaten ins Ausland schickt, muss mit einer Eskalation und mit Toten rechnen.»

Die emotional geführte Diskussion dürfte den Gegnern von Schweizer Auslandeinsätzen Auftrieb geben. Das glaubt auch Sicherheitsexperte Kurt R. Spillmann. Mit Angst und Emotionen lasse sich viel leichter politisieren als mit dem Argument internationaler Zusammenarbeit zur Friedenssicherung, sagt ETH-Professor Spillmann und zieht eine Parallele zwischen der Auns und dem früheren serbischen Diktator Slobodan Milosevic. Der habe während des Kosovo-Krieges den Nato-Einsatz von Uran-Munition dazu benutzt, um in der serbischen Bevölkerung Stimmung gegen den Westen zu machen. «Doch damals hat niemand hingehört.» Jetzt bediene sich Hans Fehr ähnlicher Mechanismen. «Das ist hinterhältig», findet Spillmann.

Auch sonst weisen Beobachter darauf hin, dass sich vor allem jene Kreise auf die umstrittene Uran-Munition stürzen, die schon zuvor gegen den Nato-Einsatz in Jugoslawien gewesen waren. Dass ausge-rechnet Russland Strahlenschutzexperten in den Balkan entsenden will, bekräftigt diese These. Und ein italienischer Feldweibel, der am Dienstag dieser Woche von Agenturen als «Fachmann» präsentiert wurde, welcher einen eindeutigen Bezug zwischen Leukämie und Uran-Munition herstellte, entpuppte sich als Interessenvertreter: Domenico Leggiero, der den Tod italienischer Soldaten «offiziell mit den Umständen auf dem Balkan in Verbindung gebracht» hat, ist Vorsitzender einer Soldatengewerkschaft.

Die tatsächliche Gefährdung durch die Uran-Munition ist nach einhelliger Auffassung der Fachleute bisher nicht nachgewiesen. Ernst Schmid vom AC-Labor in Spiez BE, das für die Messung radioaktiver Verschmutzung zertifiziert ist, stellt eine Rechnung auf: Unter einer Million Menschen gibt es pro Jahr 100 Leukämie-Fälle. Das entspricht einem Krankheitsrisiko von 0,01 Prozent. Wenn die Italiener 60'000 Soldaten im Balkan stationiert hatten und in einem Zeitraum von drei Jahren sieben an Leukämie gestorben sind, dann sind das deutlich weniger, als statistisch erwartet werden müssten: 0,01 Prozent der Truppe wären sechs Mann; berechnet auf drei Jahre, gäbe das einen Erwartungswert von achtzehn Erkrankten.

Physiker Schmid räumt ein, dass die Nato erst ab Sommer 2000 präzise darüber informierte, welche Munition sie wo verschossen hatte. Die Uno-Umweltorganisation Unep hat das dann genauer untersuchen wollen und fragte beim AC-Labor in Spiez an. «Wir haben Hilfe angeboten und beschäftigen uns vor allem mit Bodenproben», sagt Schmid. Im November 2000 reiste er im Unep-Auftrag ins ehemalige Kriegsgebiet. Die Kommission untersuchte 11 von 118 Regionen, in denen uranhaltige Munition eingesetzt worden war. Ihr Bericht wird Ende März erwartet.

Doch eines ist jetzt schon klar: «Es gibt keine grossflächige Kontamination», beteuert Schmid, «die Geschosse selbst sind schon aus einem Meter Entfernung per Messgerät nicht mehr aufzuspüren» - so gering sei ihre Strahlung.

Uran hat zwei Eigenschaften: Es ist radioaktiv und chemisch toxisch. Für Schmid ist «die chemische Toxizität des Urans viel gefährlicher als seine Radioaktivität». Unlösliche Salze, die als Staub in die Lunge kommen, bleiben dort sehr lange, strahlen jedoch nicht besonders stark. Die zu erwartende Langzeitwirkung wäre dann laut Schmid eher Lungenkrebs als Leukämie: «Leukämie passt nicht in das erwartete Muster. Wenn die Soldaten unbemerkt mit grossen Mengen Uran-Staub in Kontakt gekommen wären, dann wären sie akut nierenkrank geworden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Leukämie als erste und alleinige Wirkung auftritt», sagt Ernst Schmid: «Leukämie ist typischerweise Folge einer Bestrahlung des ganzen Körpers, mitsamt den Blut bildenden Organen. Es ist eine Spätfolge, der Ausbruch dauert Jahre.» Es wäre eher denkbar, dass Leukämie jetzt unter den Veteranen, die vor zehn Jahren im Golfkrieg gegen den Irak kämpften, auftreten würde als unter den Balkan-Soldaten, meint der Spiezer Spezialist.

Ähnlich argumentiert der Strahlenexperte Werner Burkart, der stellvertre-tende Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) in Wien: «Der Zusammenhang zwischen Uran und Leukämie ist unplausibel», sagt er. Von Langzeitstudien an Bergwerksarbeitern wisse man zwar, «dass bei der Uran-Ge-winnung Tausende gestorben sind. Schuld daran sind aber Zerfallsprodukte des Urans wie Radium und Radon.» Und diese spielen bei der Munition keine Rolle.

Sogar die Medizinerin und Epidemiologin Gina Mertens plädiert für Zurückhaltung. Mertens ist Sprecherin der Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg. «Was wir brauchen, ist eine Langzeit-Beobachtung», sagt sie. Nur eine «seriöse, wissenschaftliche Studie» kann an den Tag bringen, ob Soldaten und Zivilbevölkerung von amerikanischen Wunderwaffen langsam zu Tode gebracht worden sind oder nicht.

Die USA hatten die Uran-Munition erstmals im Golfkrieg eingesetzt. Amerikanische, britische, französische und saudiarabische Kriegsveteranen müssten jetzt reihenweise an Leukämie sterben, wenn die jüngste Panik berechtigt wäre. Das tun sie nicht. IAEA-Vize Burkart verweist auf eine Langzeitstudie an 30 US-Soldaten, die damals aus Versehen von eigenen Truppen mit Uran-Munition beschossen worden waren: «Diese Soldaten waren wahrscheinlich hunderttausend Mal stärker belastet als Schweizer Soldaten, die ein halbes Jahr nach seinem Abschuss das Wrack eines Panzers besichtigen», meint Burkart.

«Bisher ist keiner dieser Soldaten erkrankt. Es sind auch keine Nierenschäden aufgetreten, die man bei einer derart hohen Uran-Belastung erwarten müsste.»

Das heisst allerdings nicht, dass Krieg nicht krank macht. Erstens sind 30 Soldaten eine viel zu kleine Zahl, um aus ihrem Schicksal verbindliche Schlüsse zu ziehen. Und zweitens ist unbestritten, dass von 700'000 US-Golfkriegs-Veteranen 100'000 krank geschrieben sind: Vor dem «Balkan-Syndrom» gab es das «Golfkrieg-Syndrom». Die Ursachen sind umstritten. Es werden Vergiftungen vermutet, experimentelle Medikamente, die den Soldaten verabreicht wurden, Stress, Umweltverschmutzung. Nur der Uran-Munition gibt kaum jemand die Schuld.

Die Munition

Weil sie eine hohe Durchschlagskraft hat, wird Munition aus abgereichertem Uran - Depleted Uranium (DU) - zur Panzerbekämpfung eingesetzt. Das Metall hat im Vergleich zu Blei ein um 60 Prozent höheres spezifisches Gewicht und ist härter. Ein Pfeil aus massivem Uran, von der Grösse eines dicken Filzstifts, wiegt 300 Gramm und ist in der Lage, einen Panzer zu vernichten. Das Geschoss erhitzt sich beim Durchschlagen der Panzerung und versprüht im Inneren glühende Metallschmelze, die Treibstoff und Munition entzünden kann. Abgereichertes Uran ist ein Abfallprodukt der Atomindustrie; weltweit fallen jährlich 30'000 Tonnen davon an. Eine Alternative zu Uran ist das ebenso schwere, aber nicht radioaktive Wolfram. Doch Wolfram ist nicht nur sehr viel teurer, sondern auch spröde - ein Wolfram-Projektil neigt beim Auftreffen zum Zerplatzen.

Die Krankheit

Jedes Jahr erkranken in der Schweiz 700 Menschen an Blutkrebs (Leukämie), 500 sterben daran. Über die Ursachen der Leukämie, bei der sich die weissen Blutzellen unkontrolliert vermehren, ist wenig bekannt: chemische Stoffe, Viren, Gene und radioaktive Strahlung spielen eine Rolle. Von Hiroshima und Nagasaki weiss man, dass die Zeit zwischen Strahlen-Exposition und Auftreten des Krebses etwa fünf Jahre beträgt. Es gibt vier Formen von Leukämie, zwei davon sind akut mit einem raschen Krankheitsverlauf, zwei chronisch. Die eine akute Form tritt vor allem bei Kindern und Jugendlichen auf, bei den anderen drei Arten nimmt das Risiko mit steigendem Alter zu. Von allen Leukämie-Fällen kommen zwei Drittel erst nach dem 60. Altersjahr vor. Bei den Jüngeren finden sich pro Jahr etwa drei Fälle auf 100'000 Menschen.



So werden die Soldaten getestet
«Vor allem aus politischen Gründen»

Schweizer Soldaten können sich einer Blut-Analyse unterziehen. Ob auch Uran-Tests durchgeführt werden, steht noch nicht fest.

Verschiedene europäische Länder wie Italien, Portugal und England wollen allen ihren Balkan-Soldaten eine medizinische Untersuchung anbieten. Andere Länder wie Dänemark überlegen noch, ob sich der Aufwand lohnt. Auch in der Schweiz soll nun das Blut der 900 Balkan-Soldaten und der 250 Deza-Mitarbeiter untersucht werden. Das geschehe vor allem aus «politischen und psychologischen Gründen», kommentiert Ernst Schmid, Strahlenexperte am AC-Labor in Spiez, die angekündigten Tests. Das IKRK, das bereits im Frühling 1999 erste Untersuchungen durchführte, will seine Balkan-Mitarbeiter ebenfalls testen.

Mit der Blut-Analyse, wie sie nun in der Schweiz durchgeführt werden soll, kann eine Leukämie erkannt werden - allerdings erst, wenn der Blutkrebs bereits ausgebrochen ist, eine Früherkennung gibt es nicht. Da Leukämie eine Latenzzeit von etwa fünf Jahren hat, sind solche Tests ausserdem nur bei denjenigen sinnvoll, die in Bosnien eingesetzt wurden. Der Einsatz im Kosovo liegt noch nicht lange genug zurück, ein Krebs könnte sich noch gar nicht gebildet haben. «Wir empfehlen allen, ob sie nun in Bosnien oder im Kosovo waren, die Untersuchung zu machen», sagt jedoch Peter Eichenberger, Oberfeldarzt der Armee.

Ob in der Schweiz neben der Krebs-Untersuchung auch ein Uran-Test durchgeführt wird, steht noch nicht fest: «Wir beobachten die Entwicklungen», sagt dazu Eichenberger. Im Blut, im Urin, im Stuhl, in den Haaren und in den Fingernägeln, lässt sich eine Uran-Belastung erkennen. Bei 120 Soldaten in Deutschland und 50 in Österreich wurde ein solcher Uran-Test an einer Urinprobe durchgeführt. Umfassende Untersuchungen an allen Soldaten sind nicht geplant. Von einer reinen «Beruhigungspille» spricht ein Sprecher des österreichischen Bundesheeres.

Mehr sind solche einmaligen Urin-Messungen tatsächlich nicht: Der Uran-Nachweis mache nur Sinn, wenn er zum richtigen Zeitpunkt und über einen längeren Zeitraum durchgeführt werde, sagt Gina Mertens von den Internationalen Ärzten gegen Atomkrieg (IPPNW). Sofort nach der Exposition seien solche Tests wenig aussagekräftig. «Die Soldaten haben eine Form des Urans eingeatmet, die wasserunlöslich ist», erklärt die Ärztin. «Es hängt in der Lunge fest wie Teer aus Zigaretten und braucht mindestens eineinhalb Jahre, bis es ins Blut gelangt.»

Uran-Tests hält Mertens - falls sie richtig eingesetzt werden - dennoch für sehr sinnvoll. «Wir brauchen eine solche Langzeit-Beobachtung über mehrere Jahre», sagt die IPPNW-Sprecherin.

Der Strahlenexperte Werner Burkart, stellvertretender Generaldirektor der IAEA (International Atomic Energy Agency) in Wien, hält die Wahrscheinlichkeit zwar für gering, dass Schweizer Soldaten belastet sind. Doch Uran-Tests machen seiner Ansicht nach ebenfalls Sinn.

Und Ernst Schmid vom Schweizer AC-Labor in Spiez, der im Kosovo Bodenproben entnommen hat, würde an einer Uran-Untersuchung sogar selbst teilnehmen: «Einfach aus Interesse. Angst oder irgendwelche Bedenken habe ich als Strahlenschutzfachmann nicht.»