FACTS SCHWEIZ
«Die Nato ist ein langfristiges Ziel»
http://www.facts.ch/stories/0103_sch_uran2.htm
Sie gehört zu den Nato-Turbos: Die FDP-Fraktionschefin Christine
Beerli will die Nato wegen der umstrittenen Uran-Munition nicht
disqualifizieren.

Interview: Daniel Röthlisberger und Mario Tuor

FACTS: Frau Beerli, warum wollen Sie unbedingt in die Nato?

Christine Beerli: Ich will nicht unbedingt in die Nato.

FACTS: Für die Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik, der Sie angehören, «drängt sich der Nato-Beitritt auf».

Beerli: Der Nato-Beitritt betrifft die letzte von zwölf Thesen. Dort heisst es: «Deshalb drängt sich, wenn die Schweiz einen zuverlässigen internationalen Partner sucht, längerfristig ein Beitritt zur Nato auf.»

FACTS: Eben.

Beerli: Das entspricht lediglich dem, was im sicherheitspolitischen Bericht des Bundesrats und in den politischen Leitlinien zur Armee XXI steht. Die Möglichkeit eines Bündnisbeitritts sei offen zu halten, heisst es dort.

FACTS: Der Bundesrat hält sich den Nato-Beitritt offen. Für Sie ist er längerfristig unausweichlich.

Beerli: Der Nato-Beitritt ist nicht unausweichlich. Es heisst ja einschränkend, «wenn die Schweiz einen zuverlässigen internationalen Partner sucht». Dann muss sie notgedrungen auf die Nato zugehen. Es gibt keinen anderen Partner, den man sich zurzeit vorstellen kann.

FACTS: Was heisst längerfristig?

Beerli: Sehr langfristig. Ganz sicher kommt zuerst der Uno-Beitritt, dann die Europa-Debatte. Und irgendwann, wenn es die Situation erfordert, könnte die Diskussion über die Nato kommen. Es besteht keine Notwendigkeit, jetzt schon beizutreten. Ich stehe voll hinter dem sicherheitspolitischen Bericht des Bundesrats.

FACTS: Also gut. Dort steht aber, die Schweiz könne militärischen Bedrohungen nicht mehr allein widerstehen.

Beerli: Absolut. Luftwaffe und Luftabwehrsysteme können wir zum Beispiel nicht ganz alleine betreiben. Deshalb steht die Kooperation im Vordergrund, und zwar sowohl bei der Friedenssicherung, der Katastrophenhilfe als auch der Verteidigung.

FACTS: Das tönt schon wieder nach Nato-Beitritt. Warum sagen Sie es nicht direkt?

Beerli: Weil es nicht die vordringliche Option ist. Ganz wichtig ist jetzt der Umbau zur Armee XXI. Wir müssen sowohl auf Führungs- als auch auf technologischer Ebene mit anderen zusammenarbeiten können. Das ist heute die OSZE, das ist die Kooperation mit der Nato in der Partnerschaft für den Frieden. Und irgendwann – da geht unsere Arbeitsgruppe weiter als der Bundesrat – könnte auch der Entscheid anstehen, ob nicht eine Nato-Vollmitgliedschaft unseren Interessen besser dient.

FACTS: Wann?

Beerli: In einem Krisenfall, also wenn wirklich der Ernstfall eines Angriffs auf die Schweiz einträfe, dann ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass man vor so einen Entscheid gestellt wird. Aber nicht heute.

FACTS: Weil Sie Angst haben, es werde vom Volk nicht akzeptiert?

Beerli: Man muss das Problem erst dann lösen, wenn es sich stellt.

FACTS: Scheuen Sie nicht einfach die Diskussion über die Neutralität?

Beerli: Im Gegenteil. Wir müssen diese Diskussion führen. Neutralität ist aber nicht Ziel, sondern Mittel. Ziel ist die Sicherheit und Unabhängigkeit der Schweiz.

FACTS: Man kann ja nicht warten, bis der unwahrscheinliche Fall eines militärischen Angriffs auf die Schweiz stattfindet, und dann schnell in die Nato eintreten.

Beerli: Heute muss man sagen, die eingeleiteten Schritte sind richtig. Weg von der Abschreckung, hin zur Kooperation. Das neue Militärgesetz, unter anderem mit der Bewaffnung von Schweizer Friedenssoldaten im Ausland, und die Armee XXI sind Schritte, diese neue Doktrin umzusetzen.

FACTS: Das Vorprellen der Arbeitsgruppe zur Nato-Frage gefährdet den ersten Schritt.

Beerli: Unsere Gruppe denkt weit voraus. Sie nimmt eine spannende Vorreiterrolle ein, die die Diskussion belebt. Es sind aber nicht Luthers Thesen, die unverrückbar sind. Der Zeitpunkt der Veröffentlichung hat nichts mit Taktik zu tun. Man soll sich nicht nach den Extremen ausrichten, also nach der GSoA auf der Linken und der Auns auf der Rechten. Die Thesen wurden veröffentlicht, nachdem sie intern diskutiert waren. Ich stehe aber nach wie vor voll hinter der Politik des Bundesrats.

FACTS: Und erwähnen trotzdem den Nato-Beitritt?

Beerli: Um ein Bild meines früheren Ständeratskollegen René Rhinow zu gebrauchen: Man muss wegkommen von der Vorstellung, auf dem Ballenberg ein bis an die Zähne bewaffnetes Regiment hinzustellen, um die Schweiz zu verteidigen. Jene, die meinen, wir könnten uns völlig autark verteidigen, ohne irgendwelche Zusammenarbeit, gefährden die Sicherheit der Schweiz.

FACTS: Also doch Nato-Beitritt?

Beerli: Nein, sondern mehr Zusammenarbeit auf allen Ebenen und Hilfseinsätze wie im Kosovo.

FACTS: Quasi als Trainingslager für den Nato-Beitritt?

Beerli: Dieses Wort würde ich nicht brauchen. Ich sage heute nicht: Wir müssen einmal in die Nato. Aber wir müssen fähig sein, diesen Schritt zu machen, wenn es die Sicherheit des Landes erfordert.

FACTS: Macht die Nato zurzeit auf Sie einen Vertrauen erweckenden Eindruck?

Beerli: Man darf die Nato jetzt nicht allein wegen der Kontroverse um Uran-Munition disqualifizieren. Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis der freiheitlichen Demokratien der Welt. Sie hat an sehr vielen Unruheherden Ruhe hergestellt.

FACTS: Aber die Uran-Munition schwächt die Glaubwürdigkeit der Nato.

Beerli: Auch wenn ich die Gefährlichkeit dieser Munition für die eigenen Soldaten fachlich nicht beurteilen kann, so mache ich mir doch Sorgen darum. Ich hoffe, dass die Nato von dieser Munition so schnell wie möglich abkommt.



Armeereform
«Nato-Turbos»
Die sicherheitspolitische
Arbeitsgruppe Schoch will einen raschen Nato-Beitritt.

Mitten in der Debatte über das neue Militärgesetz mit der Bewaffnung von Schweizer Soldaten im Ausland bekräftigen die Armeereformer der Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik ihre positive Haltung zum Nato-Beitritt der Schweiz. Am 8. November 2000 präsentierte die Gruppe zwölf Thesen zur Armee XXI. Darin begrüsst sie grundsätzlich das Vorgehen des Bundesrates, doch «längerfristig» dränge sich der Nato-Beitritt auf.

Die Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik wurde 1994 gegründet und sorgte schon mit ihrer ersten Publikation für helle Aufregung. Die kleine Gruppe um den damaligen Ausserrhoder FDP-Ständerat Otto Schoch forderte eine Berufsarmee und liebäugelte bereits damals mit dem Nato-Beitritt – was ihr den Übernamen «Nato-Turbos» eintrug.

In der Gruppe sind ein gutes Dutzend Militärexperten, Politiker und Wirtschaftsleute dabei. Neben Christine Beerli machen unter anderen die Sozialdemokraten Gian-Reto Plattner und Yvette Jaggi mit, PR-Berater Iwan Rickenbacher, ETH-Professor Kurt R. Spillmann und Militärsoziologe Karl W. Haltiner.

«Wenn es nach mir ginge», sagt Otto Schoch, «müssten wir in den nächsten drei bis fünf Jahren der Nato beitreten.» Die Schweizer Armee sei heute teilweise Nato-kompatibel, sagt Schoch und lobt den zurückgetretenen Militärminister: «Adolf Ogi hat hervorragende Vorarbeit geleistet.» Das sieht Aussenminister Joseph Deiss nicht ganz so. In der «Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift» sagte er jüngst: «Ein Nato-Beitritt ist für die Schweiz kein Thema.»