Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20 gennaio
Feuilleton
Die Komödie vom verliebten Minister und das Trauerspiel um die Uran-Munition
Der Kosovo-Krieg als Testfall des enthemmten Pragmatismus
http://www.faz.de/IN/INtemplates/faznet/default.asp?tpl=faz/content.asp&rub={2D82590A-A70E-4F9C-BABB-B2161EE25365}&doc={0CD32F4E-D707-4799-8A27-A2495C285798}

  Kommt einem diese Sprache nicht seltsam bekannt vor, hat man das brüske Inswortfallen nicht schon einmal erlebt? Als die "Stern"-Interviewer den Bundeskanzler fragen wollten, ob man töten dürfe, um . . . - da fuhr er dazwischen mit der Bitte, "bei diesem schwierigen Gebiet von so plakativen Begriffen wegzukommen". Was mit Embryonen zum Zwecke des "therapeutischen Klonens" geschehen könnte, soll nicht Töten heißen. Welches Wort wäre aus der Sicht einer immer auf ihre Wirkung und auch auf ihre Werbewirkung achtenden Politik weniger für Plakatierung anfällig? Vielleicht "Verbrauch"? Der Verbraucherschutz hat jetzt ein eigenes Ministerium, des Verbrauchtenschutzes mag sich das Bundesverfassungsgericht annehmen.

Die Regierung Schröder hat sich schon einmal klare und deutliche Begriffe in einem rechtlich-moralischen Streit verbeten, in dem es um Leben und Tod ging. Der Krieg der Nato gegen Serbien durfte nicht Krieg heißen, sondern sollte "humanitäre Intervention" oder "Polizeiaktion" genannt werden. Moralische, völkerrechtliche und verfassungsrechtliche Bedenken wurden als akademisch beiseite geschoben. Wer Politik für "die Menschen" macht, wie es der Kanzler vor der Evangelischen Akademie Tutzing jetzt noch einmal erläutert hat, gibt sich mit Spitzfindigkeiten nicht ab.

Dem "Stern" gab Schröder zu Protokoll: "Ich verstehe die Kritik derer, die mir jetzt mit hehrer Moral kommen, nicht." Diese Haltung des Hochmuts gegenüber Moralrittern auf dem hohen Roß wurde 1999 eingeübt. Auch der Kampfbegriff des "Fundamentalismus" erfuhr seine Feuerprobe: Heute wird der gemeinchristliche und nicht etwa sektiererische Absolutismus des Lebensschutzes so abgekanzelt, damals war es beispielsweise Bärbel Höhn, die noch nicht in der schönen neuen Gegenwart des Pragmatismus angekommen war, weshalb sie heute nicht Ministerin werden darf.

Pragmatisten suggerieren gerne, die ethische Debatte sei heillos unübersichtlich. Für die großen Themen gilt das aber nicht. Manche Antwort mag ewig umstritten bleiben; die Fragen lassen sich mit einer Klarheit formulieren, die derjenige, der entscheiden und handeln oder unterlassen muß, als schmerzlich oder als heilsam empfinden mag. Unter den zivilisatorischen Standards, die sich durch Frage und Antwort herausgebildet haben, steht die Verwerflichkeit der Tötung Unschuldiger an erster Stelle. Ob sie im Kosovo-Krieg gerechtfertigt war, ob Embryonen als Unschuldige in diesem Sinne zu gelten haben, das sind die Fragen, die man nicht plakativ genug formulieren kann.

Der Streit um den Krieg der Nato unterliege Konjunkturen, hat man beobachtet. Was möchte die ökonomische Metapher sagen? Gibt es, so wie es in der Wirtschaft nicht den objektiv richtigen Preis, sondern nur den täglichen Marktwert gibt, keine Wahrheit über die Ereignisse von Racak und den serbischen "Völkermord"? Auf die Tatsachen kommt es freilich ohnehin nur im Lichte der Normen an. Die einschlägigen Normen (Grundgesetz, Nato-Vertrag, UN-Charta) lassen, liest man sie ohne ideologische Scheuklappen, für die Beendigung eines Bürgerkriegs durch selbsternannte Weltpolizisten keinen Spielraum.

Verwendet man indes den Begriff der "Konjunktur" im Sinne der älteren Historiographie, die damit ein bedeutsames Zusammentreffen scheinbar unverbundener Entwicklungen bezeichnet, so wird man es in der Tat für bemerkenswert halten, daß in dieser Woche zweimal vom Kosovo die Rede war: Die Kritik der Nato-Propaganda wurde Thema in den Abendnachrichten, und der Verteidigungsminister mußte sich wegen der Uranmunition rechtfertigen.

In Scharpings Verhalten fiel ein Sprung auf: Als die Wissenschaft noch die Harmlosigkeit des Materials bescheinigte, forderte der Minister schon ein Verbot. Was verbirgt sich in dieser Begründungslücke?

Daß Kombattanten durch Fahrlässigkeit der eigenen Seite zu Schaden kommen, durch friendly fire, ist ein Trauma der Kriegsgeschichte. Eben weil einzukalkulieren ist, daß Unschuldige auch auf der eigenen Seite umkommen werden, kommt alles auf die guten Gründe des Krieges an, auf seine Gerechtigkeit, wie ein von Ahnungslosen verhöhnter Begriff der Ethik sagt. Wer einem bösen Zufall zum Opfer fällt, soll nicht auch noch für eine böse Sache gestorben sein. Als schleichendes Gift ist der Kosovo-Krieg in die Welt unserer Nachrichten zurückgekehrt, dem Zorn der Götter ähnlich. Ein wenig zu laut war die Empörung der Regierung über die Informationspolitik der Amerikaner. Hier durfte sich der Zweifel an der Weltvormacht äußern, den die Staatsräson sonst verbietet.

Den Verdacht, daß das Verdrängte wiederkehrt, stärkt sogar das Lustspiel um den verliebten Minister. Daß Scharping angibt, er sei gelassener geworden, wirkt komisch. Dabei war er in seiner historischen Stunde wirklich alles andere als gelassen. Für seinen rhetorischen Vollrausch, die Halluzination vom zweiten Auschwitz, hat er nie Buße geleistet. Wir klagen den Zerstörer der Verfassung an, so spottete einst der liberale Historiker Macaulay über die romantischen Verteidiger Karls I., und sie präsentieren uns den braven Familienvater. Als Ehebrecher ist Scharping nun bei den Offizieren in Mißkredit geraten, die für ihn den verfassungswidrigen Krieg geführt haben.

Wie wird sich das schlechte Gewissen bemerkbar machen, wenn erst einmal der Embryonenverbrauch auf Hochtouren läuft? Neben den spektakulären Heilungserfolgen wird es bisweilen Meldungen über Mißgeburten geben, die der Wissenschaft ein Rätsel sind. Dann holt er uns ein, der Fluch der guten Tat.

PATRICK BAHNERS

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.01.2001, Nr. 17 / Seite 41